BioRescue entwickelt ethische Risikobewertung für das Rettungsprogramm der nördlichen Breitmaulnashörner

(22.03.2021) Das BioRescue-Konsortium entwickelt und nutzt fortschrittliche assistierte Reproduktionstechnologien (aART) zur Rettung stark gefährdeter Säugetiere wie dem nördlichen Breitmaulnashorn.

Diese neuen Technologien verschieben die Grenzen des Möglichen bei der Erzeugung von Nachwuchs. Infolgedessen müssen neue ethische Fragen bezüglich der Anwendung dieser Hilfsmittel beantwortet und relevante Tierschutzaspekte berücksichtigt werden.

Um sicherzustellen, dass diese Aspekte mit dem technologischen Durchbruch von aART Schritt halten, hat das BioRescue-Konsortium unter der Leitung der italienischen Universität Padua mit dem „Ethical Assessment (ETHAS)“-Tool ein ethisches Selbstbewertungsinstrument entwickelt, welches explizit auf die Durchführung von Eizellentnahmen, In-vitro-Fertilisationen, Embryotransfers und weiteren Prozeduren des Konsortiums ausgerichtet ist.


BioRescue Ethical Assessment at Avantea

ETHAS ist in einem wissenschaftlichen Aufsatz der Fachzeitschrift „Animals" ausführlich beschrieben.

Bereits bei der Konzeption des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten BioRescue-Projects war klar, dass die neu entwickelten Technologien zur assistierten Reproduktion – wenn sie erfolgreich sind – einen soliden ethischen und tierschutzrechtlichen Rahmen benötigen, um sie für den Artenschutz einzusetzen.

„Wenn wir neue Dinge tun können, ist es unsere Pflicht, auch zu überlegen, was wir tun sollten und wie wir sie in einer Weise anwenden können, sodass sie den Tierschutz, Risikoüberlegungen, die Sicherheit der beteiligten Personen und die Qualität der Verfahren wirklich respektieren“, sagt Prof. Thomas Hildebrandt, Leiter des BioRescue-Projekts und Abteilungsleiter für Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW).

Diese ethischen Überlegungen sind ein zentraler Pfeiler der Arbeit des Forschungsprogramms. Prof. Barbara de Mori und ihr Team vom „Ethics Laboratory for Veterinary Medicine, Conservation and Animal Welfare” an der Universität Padua haben jedes Verfahren, welches das BioRescue-Team seit dem Beginn des wissenschaftlichen Rettungsprogramms im Jahr 2019 durchgeführt hat, kontinuierlich begleitet und bewertet.

„Uns wurde schnell klar, dass für assistierte Reproduktionstechnologien, wie sie im BioRescue-Projekt entwickelt und angewendet werden, noch keine ethischen Bewertungsinstrumente existieren“, erklärt de Mori.

„Da die Reproduktionsspezialisten neue innovative Forschungsansätze entwerfen mussten, konnten wir parallel dazu einen neuen robusten und soliden Rahmen für die ethische Risikobewertung entwickeln und direkt zur Anwendung bringen.“ Das Ergebnis ist ETHAS – es zielt darauf ab, die ethischen Standards bei der Anwendung von aART im Allgemeinen anzuheben und die Messlatte für die BioRescue-Verfahren so hoch wie möglich zu legen.

ETHAS ist ein ethisches Selbstbewertungsinstrument, das explizit für die Bewertung von ARTs in Erhaltungszuchtprogrammen für Säugetiere entwickelt wurde. Es besteht aus zwei Checklisten, dem „Ethical Evaluation Sheet“ und dem „Ethical Risk Assessment“.

Die ETHAS-Checklisten verbinden die Risikoanalyse – basierend auf einer Kombination aus traditioneller Risikobewertung, Aspekten des Tierschutzes und der Bewertung spezifischer ethischer Risiken – mit einer ethischen Analyse, um die Vertretbarkeit der zu bewertenden Verfahren zu beurteilen.

„ETHAS durchlief mehrere Anwendungen unter unterschiedlichen Bedingungen (beispielsweise in Zoos und in Reservaten), wodurch das Tool in einem iterativen Verfahren durch die gemeinsame Arbeit von Ethikern und Reproduktions-Experten überprüft, verbessert und verfeinert werden konnte“, erklärt de Mori den Prozess der Entwicklung des Tools, an dem auch Spezialisten des Kenya Wildlife Service und des Avantea-Labors in Italien beteiligt waren.

Dieses Rahmenwerk stellt nicht nur sicher, dass die Verfahren nach den höchsten Standards des Tierschutzes und der Sicherheit durchgeführt werden, er ist auch ein entscheidendes Instrument, um zu bestimmen, wie wertvoll und riskant zukünftige Verfahren sein könnten, die auf bereits etablierten Prozeduren aufbauen.

„Zum Beispiel akkumulieren sich alle Risiken, die für die Erzeugung eines Nördlichen Breitmaulnashorns eingegangen wurden, in diesem Embryo“, erklärt Pierfrancesco Biasetti, Mitglied des Ethiklabors der Universität Padua und Wissenschaftler am Leibniz-IZW. „Das bedeutet, dass sie einen außergewöhnlich hohen Erhaltungswert haben und Entscheidungen über den Transfer in Leihmütter zur Erzeugung neuer Nachkommen diesen Wert widerspiegeln müssen.“

Über ein robustes Werkzeug zur Risikobewertung zu verfügen, ermöglicht es dem Konsortium, evidenzbasierte und gut begründete Entscheidungen zu treffen. „Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass das Ausreizen von Technologien zum Zwecke des Artenschutzes Fragen aufwerfen kann, auf die es mehrere adäquate Antworten gibt“, fassen Hildebrandt und de Mori zusammen.

„Je nach persönlicher Sichtweise kann es unterschiedliche Auffassungen darüber geben, was ein akzeptables Risiko für ein Verfahren ist und was ein ethisch einwandfreier Ansatz für den Artenschutz ist. Mit ETHAS respektieren wir diese Herausforderungen, berücksichtigen jeden ethischen und risikorelevanten Aspekt unserer Verfahren und arbeiten letztlich auf unser Ziel hin, das Aussterben des Nördlichen Breitmaulnashorns zu verhindern.“

Die begleitende ethikwissenschaftliche Arbeit wird von Merck unterstützt und stellt sich auch den Fragen von Stakeholdern und der Öffentlichkeit. „Der Einsatz dieser neuen Technologien wirft zwangsläufig auch in der Öffentlichkeit und in Stakeholder-getriebenen Diskursen zum Erhalt der Biodiversität neue Fragen auf“, sagt Steven Seet, Leiter der Wissenschaftskommunikation am Leibniz-IZW.

„Dazu gehören Fragen wie 'Lohnt es sich, öffentliche Gelder für die Rettung einzelner Wildtierarten auszugeben?' oder 'Wenn wir Technologien und Methoden haben, um Arten vor dem Aussterben zu retten, müssen wir uns dann noch um die Natur kümmern?'.“

Für den direkten Austausch mit verschiedenen Zielgruppen hat das Konsortium die Internetseite www.biorescue.org eingerichtet, auf der Unterstützer*innen und Interessierte Kontakt aufnehmen können.


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