Primaten und Nichtprimaten unterscheiden sich im Bau der Nervenzellen

(09.06.2022) Forschende der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) um Prof. Dr. Petra Wahle haben in Zusammenarbeit mit Partnern aus Mannheim, Jülich, Linz, Österreich, und La Laguna, Spanien, gezeigt, dass sich Primaten und Nichtprimaten in der Architektur ihrer kortikalen Neuronen unterscheiden.

Die Unterschiede liegen darin, an welcher Stelle der Nervenzelle der als Axon bezeichnete Fortsatz entspringt, der für die Weiterleitung elektrischer Potenziale zuständig ist. Das Team berichtet in der Zeitschrift eLife vom 20. April 2022.

Ruhr-Universität Bochum

Wenn das Axon aus dem Dendriten entspringt

Bisher galt es als Lehrbuchwissen, dass dieses Axon, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus dem Zellkörper der Nervenzelle entspringt. Das Axon kann jedoch auch von einem Dendriten entspringen.

Dendriten sind Fortsätze, die die synaptischen Eingänge sammeln. Das Phänomen wurde mit dem Namen „Axon carrying dendrite“, im Deutschen „Axon-tragender Dendrit“, beschrieben.

Verschiedene Tierarten und hochauflösende Mikroskopie klären über den variablen Ursprung von Axonen auf

„Ein besonderer Aspekt dieses Forschungsprojektes ist, dass nur mit archivierten Geweben und Präparaten gearbeitet wurde, darunter auch Präparate, welche seit Jahrzehnten für die Ausbildung von Studierenden benutzt wurden und werden“, erklärt Petra Wahle.

Zudem wurden verschiedene Säugetierarten untersucht, so Vertreter der zoologischen Ordnungen Nagetiere (Maus, Ratte), Huftiere (Schwein), Raubtiere (Katze, Frettchen) sowie Makake und Mensch aus der Ordnung Primates.

Durch den Einsatz von fünf verschiedenen Methoden zur Markierung der Dendriten und des Axons und nach Auszählung von mehr als 34.000 Nervenzellen kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass es einen speziesabhängigen Unterschied zwischen Nichtprimaten und Primaten gibt.

Die erregenden Pyramidalneuronen insbesondere der äußeren Schichten II und III der Großhirnrinde von Primaten besitzen deutlich weniger Axon-tragende Dendriten als Pyramidalneuronen von Nichtprimaten. Ebenso deutliche Unterschiede lassen sich innerhalb einer Spezies (Katze, Mensch) zwischen den verschiedenen Typen der hemmenden Interneuronen feststellen. Hingegen fanden sich bei Primaten keinerlei Unterschiede zwischen primär sensorischen cortikalen Arealen und Arealen für höhere Hirnfunktionen.

Besonders wichtig war die hochauflösende Mikroskopie, wie Petra Wahle beschreibt: „Die Detektion des axonalen Ursprungs konnte so auf der Mikrometerebene genau ermittelt werden, was bei herkömmlicher Lichtmikroskopie manchmal nicht so leicht möglich ist.“

Evolutionärer Vorteil ist noch unbekannt

Über die biologische Funktion der Axon-tragenden Dendriten weiß man noch wenig. Für gewöhnlich verrechnet das Neuron die erregenden Eingänge auf die Dendriten mit der synaptischen Hemmung. Dieser Prozess wird als somatodendritische Integration bezeichnet. Erst danach entscheidet das Neuron, ob die Eingänge stark genug und wichtig genug sind, um sie durch Aktionspotenziale an nachgeschaltete Neuronen und Gehirnareale weiterzuleiten.

Axon-tragende Dendriten gelten als privilegiert, weil erregende Eingänge auf diese Dendriten in der Lage sind, direkt Aktionspotenziale auszulösen. Warum dieser speziesabhängige Unterschied in der Evolution entstanden ist und welchen Vorteil er für die neocortikale Informationsverarbeitung bei Primaten haben könnte, ist ungeklärt.

Publikation

Petra Wahle, Eric Sobierajski, Ina Gasterstädt, Nadja Lehmann, Susanna Weber, Joachim H.R. Lübke, Maren Engelhardt, Claudia Distler, Gundela Meyer: Neocortical pyramidal neurons with axons emerging from dendrites are frequent in non-primates, but rare in monkey and human, in: eLife, 2022, DOI: 10.1101/2021.12.24.474100,


Weitere Meldungen

Internationalen Tag der Schakale am 19. April 2024

Webinar zum Internationalen Tag der Schakale

Am Internationalen Tag der Schakale am 19. April 2024 lädt das Team vom Goldschakalprojekt Österreich zu einem Webinar
Weiterlesen

Während ihrer Sammelflüge können Hummeln verschiedene Pflanzenschutzmittel mit dem Nektar und den Pollen aufnehmen.; Bildquelle: Antonia Schuhmann/Universität Würzburg

Hummel scheinen gegenüber Pflanzenschutzmitteln robust zu sein

Wildbienen sind in der Natur verschiedenen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt, die eine potenziell giftige Wirkung haben können. Eine Studie der Uni Würzburg zeigt jetzt, dass Hummeln relativ robust gegenüber diesen Mitteln sind
Weiterlesen

Schafsherde in Anatolien; Bildquelle: Nadja Pöllath/SNSB - Staatssammlung für Paläoanatomie München

Erstmalige Einblicke in den genetischen Flaschenhals der Schafhaltung in der Jungsteinzeit

Die genetische Vielfalt der Schafe nahm nicht wie bisher angenommen schon in der Anfangszeit der Schafhaltung vor rund 10.000 Jahren im anatolischen Verbreitungsgebiet des Wildschafes ab
Weiterlesen

Die frugivore Rotbauchdrossel (Turdus rufiventris) ist ebenfalls ein aktiver Samenverbreiter.; Bildquelle: Mathias Pires

Tropische Wälder brauchen zur natürlichen Regeneration fruchtfressende Vögel

Fruchtfressende Vögel spielen eine wichtige Rolle in den Waldökosystemen, insbesondere im Atlantischen Regenwald in Brasilien. Wildlebende Vögel können das Kohlenstoffpotenzial in sich regenerierenden tropischen Wäldern um bis zu 38 Prozent erhöhen
Weiterlesen

Universität Ulm

Ulmer Studie untersucht Coronaviren-Dynamik bei Fledermäusen

Der Verlust von Biodiversität ist nicht nur ein Problem für die Natur, sondern auch für die Gesundheit des Menschen
Weiterlesen

Windenergieanlagen in Costa Rica; Bildquelle: Cesar Badilla Miranda/Unsplash

Windenergie und Fledermausschutz: Forschende fordern globale Anwendung von Maßnahmen zur Senkung der Schlagopferzahlen

Überall auf der Welt boomt der Ausbau von Windenergieanlagen als Baustein für eine klimafreundliche Stromproduktion – und überall stellt dies Fledermäuse vor große Herausforderungen
Weiterlesen

Ichthyosaurier; Bildquelle: Marcello Perillo/Universität Bonn

Gehörten mysteriöse Knochen zu riesigen Fischsauriern?

Seit dem 19. Jahrhundert wurden in verschiedenen Regionen West- und Mitteleuropas große fossile Knochenfragmente entdeckt. Zu welcher Tiergruppe sie gehörten, ist bis heute umstritten
Weiterlesen

Die Diversität der Vögelgenome.; Bildquelle: Bilder: Jon Fieldsa. Design: Josefin Stiller.

Mit Algorithmen die Evolution der Vögel besser verstehen

Im Jahr 2014 erschien im Fachjournal „Science“ ein Artikel über den Stammbaum der Vögel, in dem Algorithmen und Supercomputer eine wichtige Rolle für die evolutionsbiologische Forschung für alle Arten von Lebewesen zukam
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen