Auf der Spur des Koala-Retrovirus

(29.04.2014) Wenn Retroviren in das Erbgut von Koalas eindringen, kann das ernsthafte gesundheitliche Probleme zur Folge haben: die Viren schwächen die Immunabwehr und gefährden so das Überleben der ohnehin schon geringen Koala-Population.

Ein internationales Team von WissenschaftlerInnen untersuchte das Koala-Retrovirus-Genom mit der Hybridisierungs-Einfang-Methode.

Die ForscherInnen nutzten frisch gewonnene sowie aus musealen Koala-Häuten entnommene DNS-Proben, um Änderungen des Koala-Virus über etwa 130 Jahre nachzuverfolgen. Die Ergebnisse wurden jetzt im Online-Fachjournal PLOS ONE veröffentlicht.


Retroviren im Erbgut gefährden das Überleben der Koala-Population.
Das Koala-Retrovirus (KoRV) ist das bislang einzig bekannte Retrovirus bei Tieren, das zurzeit beim Eindringen in das Erbgut von Keimzellen beobachtet werden kann und danach von Generation zu Generation weitervererbt wird.

Das Koala-Retrovirus löst das AIDS-ähnliche „Koala Immune Deficiency Syndrome“ (KIDS) aus. Im Norden Australiens ist das Koala-Retrovirus schon weit verbreitet; im Süden und auf Inseln in der Nähe des australischen Festlands tritt es bisher (noch) selten auf.

Um herauszufinden, wie das Retrovirus in das Erbgut der Keimzellen von Koalas (Phascolarctos cinereus) eindringt, nutzten die WissenschaftlerInnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, der California State University, dem Wiener Zoo, dem Washingtoner National Museum of Natural History und der University of Illinois at Urbana-Champaign eine relativ neue Technik.

Mit der Hybridisierungs-Einfang-Methode (hybrid capture method) „fischten“ sie nach vollständigen Genomsequenzen des KoRV. Als Probenmaterial standen den ForscherInnen museale Koala-Häute aus dem späten 19. und dem 20. Jahrhundert sowie frische DNS-Proben zur Verfügung.

Somit konnten die WissenschaftlerInnen etwa 130 Jahre Evolution des KoRV verfolgen. Mithilfe der neuen Methode gelang es den ForscherInnen, aus altem Erbgut der Koala-Häute und frischen DNS-Proben die KoRV-Sequenzen des gesamten Retrovirus-Genoms zu finden.

Bisherige Untersuchungen nutzten die aufwändige Methode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Damit konnte nur ein einziger viraler Genabschnitt betrachtet werden.

Mittels der einfacheren Hybridisierungs-Einfang-Methode ist es jetzt möglich, das vollständige Retrovirus-Genom sowie die Position des Retrovirus-Genoms innerhalb des Koala-Genoms gleichzeitig zu untersuchen.

Die Hybridisierungs-Einfang -Methode ist ein Anreicherungsverfahren, bei dem ausgewählte KoRV-Sequenzen aus Genom-Bibliotheken auf kleine magnetische Kügelchen fixiert werden.

Diese „Gensonden“ bestehen aus kurzen, einsträngigen DNS-Fragmenten und dienen als „Köder“; die Ziel-DNS kann so „eingefangen“ werden. Die gesuchte DNS bindet sich an die Gensonden; unerwünschte DNS wird im Anschluss „ausgewaschen“.

Mithilfe realistischer dreidimensionaler Modellierungen der vom KoRV produzierten Proteine stellte das Forscherteam fest, dass sich das Koala-Retrovirus innerhalb der letzten 130 Jahre kaum verändert hat und somit über mehrere Generationen den Gesundheitszustand der Koalas negativ beeinflusste.

Kürzlich gefundene Varianten des Koala-Retrovirus (KoRV-B und KoRV-J) konnten in den Museumsproben nicht nachgewiesen werden, sind also vermutlich erst vor kurzem entstanden.

Das deutet auch darauf hin, dass das sonst als stabil einzuschätzende Koala-Retrovirus die Fähigkeit besitzt, sich plötzlich verändern zu können. Neue und unvorhersehbare Krankheiten könnten die Folge sein.

„Generell deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass der Einbau von Retrovirus-DNS in die Koala-DNS öfter und schneller als bisher angenommen von statten geht. Interessant ist auch, dass sich die Retrovirus-DNS anfangs kaum ändert.

Um jedoch Bestandteil aller Mitglieder einer Wirtspopulation zu werden, braucht das Retrovirus offensichtlich eine lange Zeit“, kommentiert der Projektleiter Prof. Dr. Alex Greenwood vom IZW.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Entwicklung großer Teile der Säugetiergenome durch mehrfachen und zum Teil schnellen Einbau von Retrovieren-DNS in die Wirts-DNS beeinflusst wurde. Vermutlich laufen solche Prozesse momentan unbemerkt in vielen Arten ab. Es dauert jedoch lange Zeit, bis es zu einer Merkmalsausprägung für eine Art kommt.

Publikation

Tsangaras K, Siracusa M, Nikolaidis N, Ishida Y, Cui P, Vielgrader H, Helgen K, Roca A, Greenwood AD (2014): Hybridization capture reveals evolution and conservation of the entire koala retrovirus genome. PLOS ONE 9, e95633. DOI: 10.1371/journal.pone.0095633.



Weitere Meldungen

Universität Uppsala

Neue Endogen Retroviren im Koala-Genom identifiziert

Historische Virusinfektionen lassen sich in den Genomen von Wirbeltieren nachweisen. Über Millionen von Jahren waren diese Genome Aufbewahrungsorte für Retroviren, die ihren Code in Keimbahnzellen einschleusten und als Endogene Retroviren (ERVs) vererbt wurden
Weiterlesen

Wilde Koalas; Bildquelle: A. Gillett

Retroviren schreiben das Koala-Genom um und verursachen Krebs

Koalas sind mit zahlreichen Umwelt- und Gesundheitsproblemen konfrontiert, die ihr Überleben bedrohen
Weiterlesen

Koala; Bildquelle: Barbara Feldmann, IZW

Koalas ernähren sich eigenartig – aber haben sie auch eigenartige Bakterien?

Koalas ernähren sich fast ausschließlich von Eukalyptusblättern. Benötigen sie deshalb spezifische Mikroorganismen, die ihnen bei der Verdauung ihrer Nahrung helfen?
Weiterlesen

Koala-Männchen Wirri Wirri im Flugzeug mit seinen beiden Pflegern Anthony Imbault und Nicolas Leroux vom Zoo Beauval zu sehen; Bildquelle: Daniel Zupanc

Koala fliegt Business Class

Das neue Koala-Männchen für den Tiergarten Schönbrunn wurde von Austrian Airlines in der Business Class transportiert
Weiterlesen

Koalas im Tiergarten Schönbrunn in Wien; Bildquelle: Barbara Feldmann

Retroviren können sich in das Keimzellenerbgut von Koalas integrieren

Der Koala ist die einzige bekannte Tierart, bei der so etwas beschrieben wurde. Der Prozess der Integration von Retroviren-DNA ist sehr langwierig, dabei kann der Retrovirus den Gesundheitszustand der Koalas über Jahrhunderte hinweg negativ beeinflussen
Weiterlesen

Koalas ; Bildquelle: A. Claridge

Koalas kauen auch an Baumrinde

Koalas sind dafür bekannt, bei ihrer Ernährung besonders wählerisch zu sein. Je nach Region sind sie auf wenige Eukalyptusarten beschränkt. Erstmals konnten Naturschützer nun belegen, dass die charismatischen Beuteltiere nicht nur die Blätter der Eukalyptusbäume fressen, sondern auch gezielt an deren Rinde nagen
Weiterlesen

Aktionsgemeinschaft Artenschutz unterstützt Rettungsmaßnahmen für verletzte Wildtiere in Australien; Bildquelle: Aktionsgemeinschaft Artenschutz

Koalas, Kängurus und ihre Helden: Nach Buschfeuern folgt Hoffnung

Aktionsgemeinschaft Artenschutz unterstützt Rettungsmaßnahmen für verletzte Wildtiere in Australien
Weiterlesen

Boehringer Ingelheim unterstützt Koalaforschung

Boehringer Ingelheim unterstützt Koalaforschung

Boehringer Ingelheim, der australische Staat und die Universität von Sydney arbeiten bei einem Forschungsprojekt zum Wohle von Koalas zusammen. Im Rahmen des Projektes sollen die Auswirkungen der besonderen Physiologie dieser Beuteltiere auf die Pharmakokinetik von Arzneimitteln untersucht werden
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen