Sandmücken sind in Süddeutschland auf dem Vormarsch

(06.07.2020) Sie sind nur wenige Millimeter groß, stark behaart, haben aufrechte V-förmige Flügel, beigefarbene Körper und schwarze Knopfaugen: Sandmücken.

Manch einer hat im Mittelmeerurlaub schon üble Bekanntschaft mit den fürchterlich juckenden Pusteln im Gesicht, im Nacken, an Armen oder Beinen gemacht.

Obwohl die Mücken eher unscheinbar aussehen, sind die von ihnen übertragenen Krankheiten tückisch. Seit rund 20 Jahren schicken sich die Plagegeister an, auch nördliche Gefilde zu erobern.

Wie weit sie dabei gekommen sind, wo sie vorkommen und welche Gefahr von ihnen und den von ihnen transportierten Krankheitserregern ausgeht, untersucht Sandra Oerther in ihrer von der Klaus Tschira Stiftung geförderten Doktorarbeit.


Sandra Oerther mit Sandmückenfallen

Sowohl das Überträgerpotential als auch die Art der Virus- und Parasiten-Last wurden dabei unter die Lupe genommen.

Die gelernte Krankenschwester, die Biotechnologie und später Global Health studierte, hatte stets eine klare Devise: „Wenn ich promoviere, dann nur mit einem Thema, das mich richtig inspiriert und herausfordert.“ Ein solches hat Sandra Oerther mit den Sandmücken gefunden.

1999 wurden Exemplare erstmals in Deutschland entdeckt. Die Fundorte befinden sich vor allem in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Jetzt scheinen sie sich im Zuge des Klimawandels auszubreiten. Damit könnten auch bislang unbekannte Krankheiten in der Region Einzug halten.

Sicher ist schon jetzt, dass sich die Lebensbedingungen für die Sandmücken dank steigender Jahresmitteltemperaturen und warmer Sommernächte beträchtlich verbessert haben.

In den Jahren 2015 bis 2020 gingen der Doktorandin ungefähr 150 Individuen in die Falle. Gefunden wurden die Sandmücken an allen bereits bekannten Orten sowie 15 zusätzlichen. „Sie sind weiter verbreitet als bisher angenommen“, bilanziert sie ihre Ergebnisse, „und wo sie einmal waren, findet man sie in der Regel wieder.“

Das Forschungsgebiet von Sandra Oerther ist dabei ebenso spannend wie knifflig. Denn die Lebensweise der Sandmücke (griechisch Phlebotominae, „phlebos“ für Vene und „tome“ für Schnitt) ist speziell. Sie leben in meist unbewohnten, lehmgestampften, alten und naturbelassenen Gebäuden wie Ställen, Scheunen oder Einbuchtungen im Gestein wie dem Isteiner Klotz.

Gemeinsam haben diese Orte, dass sie windgeschützt sind und in der Regel eine höhere Luftfeuchtigkeit aufweisen als die Umgebung.

Die nachtaktive weibliche Sandmücke ist ein so genannter Pool-Sauger, das heißt, der Stich dauert etwa drei bis fünf Minuten und dabei entsteht ein kleines Loch; das entstandene Reservoir aus Blut und Lymphe wird dann von ihr aufgesaugt.

Aktiv ist sie in den Monaten von Ende Juni bis August. Die Eier, werden an feuchten Stellen auf dem Erdboden oder auch Gemäuerritzen abgelegt. Im Gegensatz zu den Stechmücken (Familie Culicidae) brauchen Phlebotomen-Weibchen nicht zwingend eine Blutmahlzeit, um Eier legen zu können. Zur Ernährung werden meist Zucker oder Pflanzensäfte bevorzugt.

Wie bei allen blutsaugenden Insekten geht auch bei der Sandmücke die größte Gefahr von ihrer Rolle Funktion als Überträgerin von Viren, Bakterien und Parasiten aus. Sandra Oerther hat bei ihren Untersuchungen neben den Phleboviren (unter anderem das Toskana-Virus) vor allem die Leishmaniose in den Blick genommen.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation liegt die Zahl der Neuerkrankungen an Leishmaniose bei jährlich rund zwei Millionen Menschen weltweit. Hierbei werden von Parasiten, den sogenannten Leishmanien, im Körper von Menschen, aber auch Hunden, Katzen oder Pferden Gewebeschäden angerichtet.

Je nach Art und Schweregrad der Erkrankung können Leishmanien neben Haut und Schleimhaut auch Milz, Leber, Knochenmark sowie Lymphknoten schädigen. Der Schweregrad der Erkrankung und das Krankheitsbild richten sich nach Erregerart, Schwere des Befalls und Abwehrkraft der Infizierten. Die Leishmaniose zeigt bei Mensch und Tier meist unterschiedliche Krankheitsbilder.

Die Erreger sind schon da. Etliche aus Südeuropa nach Deutschland gerettete Hunde sind an Leishmaniose erkrankt. Zumindest theoretisch könnten sie via Sandmücken den Erreger übertragen. Aber auch beim Menschen gab es in Deutschland in den letzten Jahren bereits einige Fälle, sowohl importierte als auch Fälle, von denen ein Auslandsaufenthalt nicht bekannt war.

Bei den Untersuchungen von Sandra Oerther gab es zumindest einen Grund zur Entwarnung. Es wurden von ihr bislang nur Sandmücken der Art Phlebotomus mascittii entdeckt. Und die wiederum sind zur Fortpflanzung nicht unbedingt auf eine Blutmahlzeit angewiesen.

Schlecht für die Leishmanien, die nur dann übertragen werden, wenn eine Sandmücke erst einen infizierten Wirt und dann einen Gesunden sticht. Was aber heute schon übertragen werden könnte, sind Viren. Das Toskana-Fieber beispielsweise – eine grippeähnliche Erkrankung, die zu Hirnhautentzündung führen kann.

„Wenn“, so die Forscherin, „neu auftretende Krankheitserreger frühzeitig erkannt werden und der Modus der Übertragung bekannt ist, können präventive Kontrollmechanismen besser entwickelt, untersucht und umgesetzt werden.“ Derzeit können nur die gängigen Mittel des Mückenschutzes empfohlen werden.

„Eine wirksame, interdisziplinäre Zusammenarbeit wird entscheidend sein, um solchen Bedrohungen der Gesundheit in Zukunft begegnen zu können“, sagt die Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung, Beate Spiegel.

„Wir freuen uns“, so Spiegel weiter, „dass wir damit einen interdisziplinären Ansatz in der Forschung zum Wohle der Menschen fördern können.“

Antragsteller waren das Institut für Dipterologie und die Gesellschaft zur Förderung der Stechmückenbekämpfung in Speyer sowie die Universität Heidelberg.


Weitere Meldungen

Von links: Uni-Vizepräsident Professor Dr. Gert Bange, Vanessa Kuhl von der Transferabteilung de Uni, Dr. Rouzbeh Mahdavi (mit Schnelltest) und Professor Dr. Ulrich Steinhoff aus dem Marburger Fachbereich Medizin sowie Dr. Thomas Widmann von TransMIT.; Bildquelle: Markus Farnung

Schnelltest zur Diagnose der Leishmaniose entwickelt

Ein Marburger Team aus dem Forschungsverbund DRUID hat einen Schnelltest zur Diagnose der vernachlässigten Tropenkrankheit Leishmaniose entwickelt, den die Firma Gold Standard Diagnostics demnächst zur Anwendung bei Hunden auf den Markt bringen will
Weiterlesen

Laboklin stellt Website zu verktorübertragenen Erkrankungen vor

Neue Website von Laboklin zu vector-borne diseases (VBD)

Hunde aus dem Ausland werden vermehrt in der Praxis vorgestellt mit der Herausforderung des Screenings auf vektorübertragene Infektionen oder aufgrund klinischer Symptomatik, die auf diese Erkrankungen hindeutet
Weiterlesen

Laboklin stellt Website zu verktorübertragenen Erkrankungen vor

Laboklin: neue Website für verktorübertragene Erkrankungen


Durch parasitäre, bakterielle oder virale Infektionserreger ausgelöst und durch blutsaugende Arthropoden übertragen, gewinnen vektorübertragene Erkrankungen immer mehr an Bedeutung
Weiterlesen

Kostenloses Webinar: Importhunde in der Praxis; Bildquelle: MSD

Kostenloses Webinar: Importhunde in der Praxis

Webinar von MSD Tiergesundheit am Donnerstag, den 7. April 2022 ab 19.00 bis ca. 22.00 Uhr
Weiterlesen

Paul-Ehrlich-Institut

Leishmaniose – neue Erkenntnisse zur Immunabwehr des Parasiten

Forscherinnen und Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts haben in einem internationalen Forschungsverbund neue Erkenntnisse zu den Immunprozessen gewonnen, die bei der Hautinfektion mit dem Parasiten Leishmania ablaufen
Weiterlesen

MSD Tiergesundheit

Neu bei MSD Tiergesundheit: Leishmaniose-Prophylaxe

Innovation in der caninen Leishmaniose-Prophylaxe auf den Markt
Weiterlesen

Laboklin Akademie

Seminar Reisekrankheiten: Die vielen Gesichter der Leishmaniose

In diesem Seminar am 2. Juli 2019 in Dortmund wird Dr. rer. nat. Torsten Naucke aktuelle Informationen über die vielen Gesichter der Leishmaniose berichten
Weiterlesen

Laboklin Akademie

Reisekrankheiten: Die vielen Gesichter der Leishmaniose

In diesem Seminar am 7. Mai 2019 in Hersbruck wird Dr. rer. nat. Torsten Naucke aktuelle Informationen über die Verbreitung und Übertragung der Leishmaniose vorstellen
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen