Paarleben als Sprungbrett vom Einzelgängertum zum Gruppenleben

(19.12.2019) Allein, als Paar oder in Gruppen – die verschiedenen Formen des Zusammenlebens bei Primaten sind nicht zuletzt deshalb interessant, weil sie vielleicht auch etwas über unser eigenes Sozialleben verraten können.

Wie die unterschiedlichen Gesellschaftsformen auseinander hervorgegangen sind und welche Faktoren dafür verantwortlich sind, hat ein Evolutionsbiologe des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung zusammen mit einem Kollegen der Universität Texas untersucht.

Ihre Rekonstruktionen zeigten, dass die Entwicklung von einer einzelgängerischen Lebensweise hin zum Gruppenleben in der Regel über das Paarleben erfolgte. Paarleben stellt somit evolutionär gesehen eine Art Sprungbrett für das Gruppenleben dar und nimmt daher eine Schlüsselposition in der Evolution sozialer Systeme ein (Science Advances).


Dieser junge Rote Springaffe (Plecturocebus cupreus) profitiert von der Fürsorge seines Vaters. Bei den paarlebenden Springaffen kümmern sich hauptsächlich die Männchen um den Nachwuchs.

Im Laufe der Evolution mussten sich Arten immer wieder an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Eine Anpassungsmöglichkeit ist die Modifikation des Sozialverhaltens. Knapp die Hälfte aller Primatenarten lebt in Gruppen, ungefähr ein Drittel in Paaren, der Rest lebt solitär.

Warum sich die verschiedenen Formen sozialer Komplexität entwickelt haben, wie viele Übergänge es in welche Richtungen zwischen den Sozialsystemen im Lauf der Evolution gab und welche Faktoren zu diesen Übergängen geführt haben, wurde auf der Basis genetischer Daten und Verhaltensbeobachtungen von 362 Primatenarten analysiert.

Paarleben, das Zusammenleben von einem Männchen und einem Weibchen, nimmt eine Schlüsselrolle bei den Überlegungen zur Evolution der Sozialsysteme der Säugetiere ein, denn Männchen könnten einen deutlich höheren Fortpflanzungserfolg erzielen, wenn sie sich nicht an ein einziges Weibchen binden würden.

„Evolutionsbiologen ringen schon lange darum, die Vorteile des Paarlebens für Männchen zu identifizieren“, sagt Peter Kappeler, Erstautor der Studie und Leiter der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am Deutschen Primatenzentrum.

Die beiden gängigen Hypothesen zur Entstehung von Paarleben, die Verteilung der Weibchen und die väterliche Fürsorge, scheinen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben.

„Tatsächlich weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass sich beide Faktoren ergänzen“, sagt Kappeler. „Zunächst führte mutmaßlich eine ökologische Veränderung des Lebensraums dazu, dass sich die Weibchen stärker räumlich voneinander separierten und solitäre Männchen, in deren Streifgebiet vorher mehrere Weibchen lebten, sich als Folge nur noch auf ein Weibchen konzentrieren konnten.

Die aus der Paarbildung resultierende väterliche Fürsorge erhöhte wiederum die Überlebenswahrscheinlichkeit der Nachkommen und stärkte damit das Paarleben.“

Der weitere Übergang zum Gruppenleben wurde wiederum durch eine Verbesserung der ökologischen Situation ermöglicht, die es meist verwandten Weibchen gestattete, in enger räumlicher Nähe zu leben. Diesen konnten sich dann ein bis mehrere Männchen anschließen.

„Die für Menschen typische Paarbindung innerhalb größerer sozialer Einheiten, lässt sich mit unseren Ergebnissen allerdings nicht erklären, da keiner unserer jüngeren Vorfahren solitär lebte.

Jedoch scheinen auch bei Menschen die Vorteile der väterlichen Fürsorge zu einer Stärkung der Paarbindung zu führen“, sagt Peter Kappeler.


Weitere Meldungen

UZH

Schon die ersten Primaten lebten wahrscheinlich in Paaren

Primaten weisen flexiblere Formen des Zusammenlebens auf, als bisher angenommen. Die ersten Primaten lebten wohl in Paaren – nur etwa 15 Prozent waren einzelgängerisch, wie eine Studie unter Leitung der UZH zeigt
Weiterlesen

Weißbüschelaffen am Deutschen Primatenzentrum; Bildquelle: Manfred Eberle/DPZ

Eine gentechnisch unterstützte Reise ins Primatengehirn

Die Leibniz-Gemeinschaft fördert das Projekt PRIMADIS mit einer Million Euro
Weiterlesen

Friedliche Begegnung zwischen Bonobo-Gruppen in Kokolopori.; Bildquelle: Liran Samuni, Kokolopori Bonobo Research Project

Wildlebende Bonobos kooperieren auch mit Mitgliedern fremder Gruppen

Menschen gehen strategische Kooperationen mit Fremden ein und teilen ihre Ressourcen auch mit Personen außerhalb der eigenen sozialen Gruppe. Bislang galt prosoziales Verhalten gegenüber Nicht-Verwandten als rein menschliche Fähigkeit
Weiterlesen

Bonobo Mutter mit Jungtier; Bildquelle: Verena Behringer

Bonobos wachsen ähnlich wie Menschen: Wachstumsschübe in der Pubertät sind evolutionär nicht einzigartig

Bisher wurde angenommen, dass es solche pubertären Wachstumsschübe in der Körperlänge nur beim Menschen, nicht jedoch bei anderen Primaten gibt
Weiterlesen

Mantelpavian (Papio hamadryas) im Hochland Eritreas.; Bildquelle: Dietmar Zinner/DPZ

Genome von 233 Primatenarten entschlüsselt

Neue Erkenntnisse über die genetische Diversität und Evolution unserer nächsten Verwandten sowie über die genetischen Ursachen menschlicher Krankheiten
Weiterlesen

Das Verhalten von Schnurrbarttamarinen wird seit vielen Jahren von DPZ-Wissenschaftler*innen erforscht; Bildquelle: Cindy Hurtado

Primatenforschung am Amazonas

Im Rahmen der Ausstellung „Im Urwald – Primatenforschung am Amazonas“ zeigt das Deutsche Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung die wechselvolle Geschichte der Primatenforschung am Amazonas
Weiterlesen

Bei von Weibchen dominierten Arten wie Tüpfelhyänen setzen Tiere beiderlei Geschlechts seltener auf Aggression und häufiger auf unterwürfige Signale und Gesten.; Bildquelle: Oliver Höner/Leibniz-IZW

Machtspiele um Dominanz entschlüsselt

Wissenschaftsteam entschlüsselt Verhaltensmuster zwischen Geschlechtern bei 9 Säugetierarten
Weiterlesen

Forschungs- und Haltungsgebäude PriCaB; Bildquelle: Karin Tilch/Deutsches Primatenzentrum GmbH

Primatenhaltung und -forschung unter einem Dach

Neues PriCaB-Gebäude am Deutschen Primatenzentrum verbindet Forschung zu Kognition und Tierwohl
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen