Rätselhafter Fall des Monats: Pferd mit abdominalen Schmerzen
(01.11.2019) Ein 30jähriges Warmblutpferd wurde mit einem akuten Abdomen an eine Klinik für Großtiere überwiesen - was sind Ihre wichtigsten Differentialdiagnosen
Selda Curtseit DVM MSc PhD MRCVS Clinical Pathologist
Signalment und Anamnese
Ein 30jähriges Warmblutpferd wurde mit einem akuten Abdomen an eine Klinik für Großtiere überwiesen. In der klinischen Untersuchung zeigte das Pferd, auch unter NSAIDs, abdominale Schmerzen und hatte eine erhöhte Herzfrequenz (60 Schläge / Min), eine Atemfrequenz von 45/Min und eine Kapilläre Füllungszeit (KFZ) von 3 Sekunden.
Die Rektaltemperatur betrug 38°C und es war keine Darmperistaltik auskultierbar. Im Rektalbefund fanden sich mehrere aufgegaste Dünndarmschlingen.
Weiterführende Untersuchungen
Eine Nasenschlundsonde wurde geschoben und ergab einen spontanen Reflux von etwa 25 L Flüssigkeit. Bei der Abdominozentese wurde eine hohe Menge einer rötlichen Flüssigkeit gewonnen.
Labordiagnostische Untersuchungen:
Der Hämatokrit lag bei 60% (Referenzbereich 32 52%) und die veränderten Parameter der klinischen Chemie sind in Tab. 1 aufgelistet.
Tabelle 1 Veränderte Parameter der klinischen Chemie
Zu den Differentialdiagnosen zählen Atropinintoxizität, Duodenitis, proximale Jejunitis, akute Pankreatitis, Graskrankheit (equine grass sickness), Dünndarm-Vorfälle, Obstruktionen, Volvulus oder Peritonitis.
Aufgrund der Ergebnisse der Bildgebung und der Anamnese, wurde im vorliegenden Fall eine Peritonitis als wahrscheinlichste Diagnose angenommen.
Weiterer Verlauf
Dem Pferd wurden über einen Behandlungszeitraum von 9 Tagen wiederholt Nasenschlundsonden geschoben und es erhielt darüber hinaus NSAIDs, Spasmolytica und Cholinesterasehemmer im Wechsel, Breitspektrumantibiotika sowie eine parenterale Ernährung.
Der Fall wurde über ein Jahr verfolgt: es wurde erfolgreich wieder in den Rennsport aufgenommen und der Besitzer bemerkte keine weiteren Anzeichen einer Pankreatitis oder anderen abdominalen Erkrankung.
Zusammenfassung
Eine akute Pankreatitis wird bei Pferden (in vivo) selten diagnostiziert und die tatsächliche Prävalenz wird vermutlich unterschätzt. Typischerweise entsteht eine Pankreatitis sekundär zu anderen gastrointestinalen, hepatischen oder endokrinen Erkrankungen.
Beim Pferd werden verschiedene Formen von Pankreatitis abhängig vom klinischen Verlauf unterschieden: akut, chronisch und chronisch-aktiv. Es ist keine Prädisposition bezüglich Rasse, Alter oder Geschlecht bekannt, jedoch wird die Erkrankung häufiger in adulten Tieren und selten in Fohlen beschrieben.
Als Pathogenese wird eine Aktivierung von Pankreasenzymen die im Weiteren zu einer Autodigestion von Pankreasgewebe führen, angenommen. Dies induziert eine Nekrose der Azini und pankreatischen Inseln mit intestinaler Fettnekrose und nekrotisierender Vaskulitis.
Das Freiwerden der Pancreasenzyme stimuliert die Ausschüttung von inflammatorischen Zytokinen wodurch die Entzündungskaskade weiter angetrieben wird und zu einer schweren systemischen Entzündungsreaktion (systemic inflammatory response syndrome (SIRS)), Multiorganversagen, Schock oder dem Tod führen kann.
Eine antemortem Diagnose einer Pankreatitis beim Pferd ist schwierig da hierfür keine spezifischen Tests zur Verfügung stehen. Obwohl die diagnostische Bedeutung von Amylase und Lipase aus Serum oder Bauchhöhlenpunktat nicht gut untersucht sind, werden sie in einigen Fällen zur Unterstützung der Diagnose angewendet.
Beide sind jedoch nicht spezifisch für eine Pankreatitis. Auch kleinere Gewebeschäden der intestinalen Mukosa oder der Nierentubuli können zu leichten Erhöhungen der Serum Amylase und Lipase führen. Die meisten betroffenen Pferde sterben oder werden euthanasiert, in wenigen Fällen ist eine erfolgreiche Behandlung jedoch beschrieben.