Erster anatomischer Atlas für die Genaktivität eines Säugetiers
Internationales Wissenschaftlerkonsortium analysiert die aktiven Gene im Mausembryo
18000 Gene und 400 MicroRNAs, die jeweils in 24 unterschiedlichen Bildern untersucht wurden; 1420 anatomische Strukturen, an denen die aktiven Gene gekennzeichnet sind; 1002 gewebespezifische Gene als neuartige Marker für 37 verschiedene anatomische Strukturen - mit dem „hochaufgelösten anatomischen Atlas des Transkriptoms im Mausembryo“ stellt das EURExpress Konsortium, eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern aus zwölf europäischen Forschungseinrichtungen, die weltweit erste umfassende Übersicht über die räumliche und zeitliche Aktivität aller bekannten Gene eines ganzen Säugerorganismus zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung zur Verfügung.
In der renommierten Fachzeitschrift PLoS Biology beschreiben die Forscher, welche Gene in den verschiedenen Organen eines 14,5 Tages alten Mausembryos aktiv sind und erläutern, wie ihre Daten die Suche nach Kandidatengenen für genetische und komplexe Erkrankungen unterstützen kann.
Säugling, Kleinkind, erwachsener Mensch – alle Organismen durchlaufen verschiedene Lebensstadien, in denen ihr Körper unterschiedliche Funktionen erfüllen muss. Die Erbinformation eines Individuums wird bei seiner Zeugung festgelegt und ist in allen Zellen des Organismus identisch – unabhängig von der jeweiligen Entwicklungsstufe. Die Entwicklung unterschiedlicher Organe und Körperteile, die in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedliche Funktionen im Organismus wahrnehmen müssen, ist daher nur möglich, weil zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Gene in den einzelnen Zellen angeschaltet sind.
Aber wann sind welche Gene in welcher Zelle aktiv? Die Antwort ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der physiologischen Funktion eines Gens. In fünfjähriger Arbeit, die aus Mitteln der Europäischen Union finanziert wurde, haben die Forscher des EURExpress Konsortiums, unter ihnen die Arbeitsgruppen von Stefan Mundlos und Marie-Laure Yaspo vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, die Aktivität aller bekannten Gene der Maus in allen Gewebestrukturen eines 14,5 Tage alten Mausembryos untersucht. Sie nutzten dafür ein kolorimetrisches Verfahren namens RNA in situ Hybridisierung, das die Expression von Genen mit zellulärer Auflösung in ihrem natürlichen Kontext sichtbar macht.
Die Ergebnisse dieser Arbeit stehen in Form einer interaktiven Webdatenbank für die wissenschaftliche Gemeinschaft zur Verfügung. „Die Aufbereitung der Ergebnisse erlaubt es anderen Gruppen, die Daten für ihre eigenen Untersuchungen zu nutzen“, erläutert Marc Sultan, Wissenschaftler am MPI für molekulare Genetik. „Wir selber nutzen die Ergebnisse bereits für andere Untersuchungen, indem wir beispielsweise für bestimmte Krankheitsbilder zeigen, mit welchen Genaktivitäten sie verbunden sind bzw. welche Gene an der Entstehung der Krankheit beteiligt sein könnten.“ Die Qualität und die exakte räumliche Verteilung der Daten erlauben darüber hinaus neue Erkenntnisse über die komplexe segmentale Organisation des Säugerhirns und geben Hinweise für die Aufklärung wichtiger Signalwege, die zum Beispiel an der Entwicklung der Niere beteiligt sind.
Genomweite Genexpressionsanalysen spielen heute eine wichtige Rolle für die funktionelle Genomik. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse künftig zur Aufklärung zahlreicher weiterer Fragestellungen beitragen werden, wie zum Beispiel die Bestimmung regionaler Unterschiede in komplexen Organen, die Suche nach regulatorischen Elementen für die Steuerung gewebsspezifischer Genaktivitität, die Charakterisierung von Gen-Netzwerken, die zwischen verschiedenen Organen aktiv sind oder auch die Untersuchung von möglichen Kandidatengenen für komplexe und angeborere Erkrankungen.
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