Neuer chronobiologischer Rhythmus bei Säugetieren entdeckt

(06.01.2016) Prof. Dr. Friedemann Schrenk vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt hat gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Timothy G. Bromage einen neuen chronobiologischen Rhythmus bei Säugetieren entdeckt.

Anhand von Zahnschmelz- und Blutuntersuchungen konnten sie einen 5-Tages-Rhythmus bei Hausschweinen feststellen, welcher maßgeblich den Stoffwechsel und damit auch Zellteilung und Wachstum sowie viele weitere lebenswichtige Funktionen steuert.


Zahnschmelz der untersuchten Hausschweine mit dem neu entdeckten 5-Tages-Rhythmus.
Die heute im renommierten Fachjournal „PLOS ONE“ veröffentlichte Studie trägt dazu bei die Entstehung der vielfältigen Säugetierwelt zu verstehen.

Das Leben aller Organismen wird von einer „inneren Uhr“ bestimmt – diese steuert die Zellteilung, den Herzschlag, die Atmung, das Schlafpensum und viele weitere lebenswichtige Funktionen. Selbst Einzeller werden durch diese chronobiologischen Rhythmen gelenkt.

„Seit langem ist bekannt, dass es verschiedene biologische Rhythmen gibt, die alle eine Periodenlänge von etwa 24 Stunden haben“, erklärt Prof. Dr. Friedemann Schrenk vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt und ergänzt: „Diese ‚circadiane Rhythmik‘ erklärt aber nicht die hohe Diversität im Tierreich und die verschiedenen Geschwindigkeiten in den Lebenszyklen.“

Ausgehend von der Frage wie Säugetiere in ihrer Evolutionsgeschichte größer wurden, hat Schrenk gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Timothy G. Bromage, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Professor am New York University College of Dentistry einen neuen mehrtägigen – „multidien“ – chronobiologischen Rhythmus entdeckt.

„Würde man das Gewebe einer Maus auf die Größe eines Menschen skalieren, wäre dieser Mensch nicht lebensfähig. Das Mäusegewebe ist voller Stoffwechselzellen, um den schnellen Lebenszyklus der kleinen Säuger zu ermöglichen – ein größeres Säugetier müsste Unmengen Nahrung zu sich nehmen, um seinen Organismus am Laufen zu halten. Wie also konnten in der Erdgeschichte kleine Nager zu riesigen Tieren werden?“, fasst Bromage die Fragestellung zusammen.

Schnell verstanden die beiden Paläoanthropologen, dass es einen Mechanismus geben muss, welcher die Geschwindigkeit der Zellteilung reguliert und so den Wachstum der Tiere ermöglicht Den Beweis für ihre Theorie fanden sie im Zahnschmelz von Hausschweinen – in diesen kann man anhand von feinen Wachstumslinien Tagesrhythmen erkennen. „Darüber hinaus gibt es die sogenannten Retzius-Streifen – parallel zueinander verlaufende Streifen im Zahnschmelz –, die im mehrtägigen Abständen auftreten“, fügt Bromage hinzu.

Im Rahmen des groß angelegten Forschungsprogramms „Palaeobiomics“, das durch den an Bromage vergebenen Max-Planck-Forschungspreis finanziert wurde, verglich das deutsch-amerikanische Duo die Retzius-Streifen an Zähnen von 33 Schweinen mit Blutproben der Tiere.

In den Blutproben, die über einen Zeitraum von 14 Tagen genommen wurden, fanden sich Metabolite – Zwischenprodukte von Stoffwechselvorgängen – und ribosomale DNA, die in einem 5tägigen Rhythmus auftraten. „Deckungsgleich mit unseren Ergebnissen an den Schweinezähnen – dort traten die Retzius-Streifen ebenfalls im 5-Tages-Abstand auf“, freut sich Schrenk und fährt fort: „Die Metabolite zeigen, dass der Rhythmus mit einem komplexen System der Körperfunktionen zusammenhängt – an erster Stelle steht hier die Zellvermehrung, eine Grundlage für den Wachstum der Tiere.“

Die Zähne weiterer Säugetiergruppen verraten, dass der neu entdeckte Rhythmus unterschiedliche Längen je nach Größe der Tiere hat – „kleine Affen haben beispielsweise kürzere Taktungen, als Menschenaffen“, ergänzt Schrenk. In einem nächsten Schritt möchte das Wissenschaftlerteam diese These auch anhand von Blutuntersuchungen weiterer Tiergruppen belegen.

Auch für uns Menschen könnte die Entdeckung des neuen Rhythmus von großem Vorteil sein: „Wenn wir wissen an welchem Tag unsere Zellproduktion auf Hochtouren fährt, können wir beispielsweise Medikamente gezielt einsetzen, um die zu diesem Zeitpunkt ‚vernachlässigten‘ Organe zu stärken“, gibt Bromage einen Ausblick.




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