Neuer Ansatz gegen fehlenden Trink-Reflex bei Kälbern

(05.09.2016) 8% der Braunvieh-Kälber kommen ohne Saugreflex auf die Welt. Forscher der Universität Hohenheim vermuten einen Gendefekt.

Ein kleines Stückchen Haut, das beim Einsetzen des Ohrchips abfällt: Das ist der Schlüssel zu einer Züchtungsstrategie, die Bauern viel Arbeit und Kälbern ohne Saugreflex die Zwangsernährung ersparen soll.

Universität Hohenheim Tiergenetiker und Milchviehspezialist Prof. Dr. Jörn Bennewitz und seine Mitarbeiter analysieren das darin enthaltene Genmaterial, um die Ursache für die Trinkschwäche zu finden und bei zukünftigen Züchtungen der bekannten Allgäuer Rinderrasse zu vermeiden.

Die Landwirtschaftliche Rentenbank fördert das Projekt mit 410.084 Euro. Es zählt damit zu den Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.

Schon beim neugeborenen Kalb ist der Instinkt zum Trinken sofort vorhanden. Bei etwa 8 Prozent der Kälber der Rinderrasse Braunvieh ist das allerdings nicht der Fall: Sie kommen ohne Saugreflex auf die Welt und leiden an einer sogenannten Trinkschwäche.

Die Folge: Bauern müssen solche Kälber nach der Geburt mit dem Schlauch ernähren, um sie am Leben zu halten. Das ist schmerzhaft und unangenehm für die Tiere, psychisch belastend für die Bauern.

Die Mehrarbeit bedeutet außerdem einen Nachteil im auf Effizienz angelegten Milchgeschäft. Viele Bauern stellen deshalb auf andere Rassen um.

Das möchte Prof. Dr. Bennewitz verhindern: „Das Braunvieh ist im Vergleich zu anderen Milchviehrassen eine kleine, aber sehr schützenswerte Rasse. Kulturell und historisch gehört das Braunvieh zum Allgäu“, erklärt der Genetiker den Hintergrund seines groß angelegten Versuchs.

Gendefekt oder Mangelerscheinung

Die Vermutung des Milchviehexperten: Ein Gendefekt ist für die Trinkschwäche verantwortlich. Im Laufe des vergangenen Jahres haben Bauern auf 200 Höfen deshalb für Prof. Dr. Bennewitz das Trinkverhalten ihrer neugeborenen Kälber dokumentiert.

Anhand dieser Daten kann Prof. Dr. Bennewitz bereits erste Schätzungen anstellen: Steckt wirklich ein Gendefekt hinter dem Problem, oder sind doch Umwelteinflüsse wie zum Beispiel ein Mangel an Vitamin E oder Selen die Ursache?

„Wenn wir die Stammbäume der betroffenen Tiere vergleichen, fällt auf, dass die Krankheit in bestimmten Familien gehäuft auftritt. Das deutet darauf hin, dass die Ursache für die Trinkschwäche in den Genen liegt“, fasst Prof. Dr. Bennewitz zusammen.

Ziel: ein Gen-Test für Zuchtbullen

Details soll nun eine Ergbut-Analyse aller 8.000 Jungtiere liefern. „Wenn wir den Defekt genau im Erbgut lokalisieren können, können wir einen Gentest für Zuchtbullen entwickeln und die Bullen, die den Defekt in sich tragen, aus der Zucht nehmen“, erläutert Prof. Dr. Bennewitz das Ziel.

Parallel dazu interessiert sich der Forscher für die genauen biologischen Prozesse bei den Tieren mit Trinkschwäche.

Erbgut-Analyse mit Roboterhilfe

Um das nötige Genmaterial zu bekommen, werden die Kälber keiner zusätzlichen Belastung ausgesetzt: Die DNA stammt aus dem kleinen Stück Haut, das beim Einsetzen der Ohrmarken ausgestanzt wird. Diese Proben schicken die Bauern direkt zum Labor an der Universität Hohenheim.

Dort nimmt Laborleiter Dr. Siegfried Preuß die ausgestanzten Proben entgegen. Viele Schritte der Analyse laufen weitgehend automatisch: Ein Gerät löst die DNA aus der Probe in Flüssigkeit auf, ein Roboter gibt sie vorsichtig auf einen sogenannten SNP-Chip, Laser lesen die Erbinformation jeder Probe aus und Computer suchen nach Unterschieden im Erbgut von Tieren mit und ohne Trinkschwäche. Pro Woche analysieren Dr. Preuß und seine Mitarbeiterinnen etwa 100 Proben.

Dabei beschränken sich die Forscher auf sogenannte Marker im Erbgut. Das bedeutet, dass der Defekt nur grob eingegrenzt wird. Dafür ist die Analyse wesentlich schneller, als wenn das gesamte Erbgut analysiert wird.

Deshalb planen Prof. Dr. Bennewitz und Dr. Preuß auch, das Genmaterial von 10 nicht miteinander verwandten Tieren komplett zu sequenzieren. „Das ist natürlich viel aufwändiger. Es liefert uns aber noch viel mehr Informationen und größere Sicherheit“, so Dr. Preuß.



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