Tübinger Neurowissenschaftler stellen selbst entwickelte Software für Verhaltensstudien an Fischen frei zur Verfügung

(06.08.2018) Zebrafische gehören erst seit kurzem zu den wichtigsten Tiermodellen der neurowissenschaftlichen Forschung. Laboreinrichtung und Software zur Analyse ihres Verhaltens sind daher oft extrem spezialisiert und teuer.

Neurobiologen vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen haben nun eine einfach zu bedienende Software entwickelt und stellen diese frei und im Quellcode zur Verfügung.

Das Programm erlaubt den Einsatz zahlreicher Untersuchungsansätze und verschiedenster Hardware-Komponenten in Verhaltensexperimenten zu Augenbewegungen von Zebrafischen.

Die Software ‚ZebEyeTrack’ und ihre Anwendungsbereiche stellen die Wissenschaftler im Nature-Tochterjournal Nature Protocols vor.


Seitenansicht einer 6 Tage alten Zebrafischlarve, unter dem Konfokalmikroskop erstellt

Was haben die nur wenige Millimeter langen, glasartig durchsichtigen Larven eines südasiatischen Zierfisches mit Menschen gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel, und doch gelten die Larven des Zebrabärblings (auch Zebrafisch genannt) als mit am besten geeignet, um grundlegende Mechanismen unserer Wahrnehmung zu erforschen.

Ein Beispiel ist die Steuerung des Auges, dessen Ausrichtung auf großflächige, bewegte Sehreize bei Zebrafischlarven ganz ähnlich funktioniert wie bei uns Menschen.

Wer im Detail wissen will, wie ein Fisch sieht, benötigt dazu eine äußerst aufwändige Laborausrüstung – nicht untypisch für die Lebens- und Naturwissenschaften. Dazu gehören Softwarelösungen, mit deren Hilfe sich zahlreiche Parameter erfassen und messen lassen.

Dafür können sich Forschende einer kommerziellen Software für die Verfolgung von Fischaugenbewegungen bedienen, die aber selten auf die speziellen Fragestellungen eines Projekts ausgerichtet ist und deren Kauf kostspielig sein kann – oder aber das Labor entwickelt eine eigene Softwareanwendung, was entsprechende Programmierfähigkeiten voraussetzt und oft mit jahrelangem Aufwand einhergeht.

Bereits während seiner Doktorarbeit entschied sich der Neurobiologe Aristides Arrenberg deshalb dafür, selbst eine Software zu entwickeln, die den Ansprüchen seiner Arbeit genügte.

Seine Forschergruppe am Tübinger CIN arbeitet mit einer über die Jahre immer wieder überholten und erweiterten Version dieser Software, die inzwischen viel dazu gelernt hat: So kann sie individuell gestaltbare Lichtreize steuern, die den Fischlarven präsentiert werden, und die resultierenden Augenbewegungen automatisch erkennen, verfolgen, aufzeichnen und in Echtzeit nach verschiedensten Kriterien analysieren.

Dazu kommen Plugins für Laser- und Mikroskopeinsatz sowie eine einfach zu bedienende grafische Benutzeroberfläche. Um anderen Laboren weltweit den Einstieg in Experimente zur Funktion des Zebrafisch-Sehsystems zu erleichtern, hat die Forschergruppe die Software – mittlerweile auf den Namen ‚ZebEyeTrack’ getauft – nun allgemein zugänglich gemacht.

Die Software kann auf zebeyetrack.com ohne Installation direkt getestet oder auch heruntergeladen werden und wird in Nature Protocols von den Autoren beschrieben.

„Wir wissen, dass Forschende weltweit sehr unterschiedliche Ansprüche an solch eine Software haben. Daher machen wir auch den Quellcode verfügbar, so dass unsere Lösung schon mit ein wenig Programmierkenntnis individuell angepasst werden kann“, erklärt Florian Dehmelt, der die (vorerst) finale Version programmierte.

Gruppenleiter Arrenberg fügt hinzu: „Mit ZebEyeTrack verstehen wir uns als Teil der Open-Source-Bewegung. Wir hätten vermutlich auch ein Patent anmelden und ZebEyeTrack kommerziell vertreiben können. Aber daran haben wir kein Interesse – damit würden wir ja genau dem Problem Vorschub leisten, das wir selbst einmal hatten.“

Publikation

Florian A. Dehmelt, Adam v. Darányi, Claire Leyden, Aristides B. Arrenberg: Evoking and Tracking Zebrafish Eye Movement in Multiple Larvae with ZebEyeTrack. In: Nature Protocols (im Druck). doi: 10.1038/s41596-018-0002-0



Weitere Meldungen

IGB

Darum ist der Schwarm so schnell: Vorhersehen, was die anderen tun werden

Fischschwärme, die sich synchron im Wasser bewegen – faszinierend ist die Geschwindigkeit, mit der sie die Richtung wechseln: Wie machen sie das?
Weiterlesen

Empfangsstationen unter Wasser detektieren die Fischbewegungen. Das Bild stammt von einer Forschungskooperation mit dem IMEDA Institut in Mallorca.; Bildquelle: Josep Alós

Hochaufgelöste Ortungsmethoden zeigen die verborgene Welt der Fische

Das Leben der Fische ist geheimnisvoll. Bis vor kurzem war es technisch unmöglich, sie über längere Zeiträume in Gewässern zu beobachten
Weiterlesen

Schwefelmollys vollführen im Schwarm La-Ola-Wellen; Bildquelle: Juliane Lukas

Schwarmverhalten: Darum schwimmen Fische die La-Ola-Welle

Tausende Fische bewegen sich wie eine riesige La-Ola-Welle im Wasser, tauchen ab und kommen bis zu zwei Minuten lang immer wieder an die Oberfläche zurück
Weiterlesen

Buntbarsch-Mutter, die einen Räuber angreift, welcher in einer Plexiglasröhre ins Territorium gesetzt wurde; Bildquelle: Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern

Fischweibchen können über ihre Eier das Fluchtverhalten ihrer Nachkommen beeinflussen

Buntbarsch-Weibchen können über die Zusammensetzung ihrer Eier beeinflussen, wie schnell ihre Nachkommen bei Gefahr die Flucht ergreifen können
Weiterlesen

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Parasiten-Infektion stört das Fluchtverhalten in Fischschwärmen

Das Schwarmverhalten bei Fischen und anderen Tieren ist eine wichtige Überlebensstrategie. Bestimmte Parasiten manipulieren diese Strategie
Weiterlesen

Ein Anemonenfisch-Paar, das sich in Tentakeln seiner Wirtsanemone vor Tauchern versteckt; Bildquelle: Evan Brown

Erschreckt (sich) Nemo?

Wie reagieren Clownfische im Korallenriff auf die Begegnung mit Menschen?
Weiterlesen

Im Rahmen des Projekts Effect-Net erforschen Wissenschaftler die Effekte von Medikamenten und Lebensmittelzusatzstoffen in der aquatischen Umwelt; Bildquelle: Susanne Mieck/Universität Heidelberg

Rückstände von Arzneimitteln in Gewässern: Antidepressiva machen Fische zur leichten Beute

Besonders starke Effekte haben Medikamente zur Behandlung von Depressionen. Bei ihnen verlieren die Fische ab einer bestimmten Konzentration der Substanzen im Wasser ihre natürliche Reaktion auf Stress
Weiterlesen

Steelhead Trout; Bildquelle: James Losee

Forellen beim Nestbau belauschen

„Steelhead“ Forellen wühlen beim Bau ihrer Laichgruben das Sediment des Flussbettes auf und beeinflussen die Beschaffenheit des Flussbetts und den Transport von Sediment
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen