Seltenes Echsenfossil überdauerte im Bernstein

(06.03.2020) Der winzige Vorderfuß einer Eidechse der Gattung Anolis ist vor rund 15 bis 20 Millionen Jahre in Bernstein eingeschlossen worden. Bei dem seltenen Fossil ist unter dem Mikroskop jedes Detail erkennbar.

Doch der optisch sehr gute Erhaltungszustand täuscht: Der Knochen ist weitgehend zersetzt und chemisch umgewandelt, von der ursprünglichen Struktur kaum etwas vorhanden. Die Ergebnisse, die nun im Fachjournal „PLOS ONE” vorgestellt werden, liefern wichtige Anhaltspunkte darüber, was genau bei der Fossilisation passiert.


Ungewöhnlichen Fund: Ein winziger Eidechsen-Vorderfuß der Gattung Anolis ist im rund 15 bis 20 Millionen Jahre alten Bernstein eingeschlossen.

Wie schaffen es Fossilien, Jahrmillionen zu überdauern? Eine rasche Einbettung ist eine wichtige Voraussetzung, um die Organismen etwa dem Zugriff von Aasfressern zu entziehen. Die Zersetzung durch Mikroorganismen kann zum Beispiel durch extreme Trockenheit unterbunden werden.

Außerdem kommt es zum allmählichen Austausch der Originalsubstanz durch Minerale. Das aufliegende Sediment sorgt durch großen Druck für eine Verfestigung des Fossils. „Soweit die Theorie“, sagt Jonas Barthel, Doktorand am Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn. „Wie die Fossilisation genau abläuft, wird derzeit in der Wissenschaft intensiv untersucht.“

Als ein hervorragendes Konservierungsmedium gilt Bernstein. Kleine Tiere können von einem Baumharztropfen umschlossen werden, der im Lauf der Zeit aushärtet. Ein Team aus Geowissenschaftlern der Universität Bonn hat nun einen ungewöhnlichen Fund aus der Dominikanischen Republik untersucht: In einem nur rund zwei Kubikzentimeter großen Bernstein ist der winzige Vorderfuß einer Eidechse der Gattung Anolis eingeschlossen. Anolis-Arten gibt es auch heute noch.

Wirbeltiereinschlüsse im Bernstein sind sehr selten

Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart hat den Paläontologen der Universität Bonn das Exponat für Untersuchungen überlassen. „Wirbeltiereinschlüsse im Bernstein sind sehr selten, der Großteil sind Insektenfossilien“, sagt Barthel.

Die Wissenschaftler nutzten die Chance, um die Fossilisation des optisch sehr gut erhaltenen Wirbeltierfragments zu untersuchen. Seit 2018 gibt es ein Verbundforschungsprojekt der Universität Bonn mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, welches über experimentelle und analytische Ansätze zum Verständnis der Fossilisation beiträgt. Im Rahmen dieses Projekts wurde auch die vorliegende Untersuchung durchgeführt.

Am Institut für Evolutionsbiologie der Universität Bonn ließen die Forscher Dünnschnitte für die Mikroskopie herstellen. In der honigbraunen Bernsteinmasse sind die Krallen und Zehen sehr deutlich zu erkennen – fast so als wäre erst vor Kurzem das Baumharz darauf getropft. Dabei ist der winzige Fuß etwa 15 bis 20 Millionen Jahre alt.

Beim „Durchleuchten“ im Micro-Computertomographen des Instituts für Geowissenschaften zeigte sich, dass der Vorderfuß an zwei Stellen gebrochen ist. Ein Bruch ist von einer leichten Schwellung umgeben. „Das ist ein Hinweis darauf, dass vielleicht ein Raubtier der Eidechse eine Verletzung zugefügt hat“, sagt Barthel.

Der andere Bruch ist nach der Einbettung des Fossils passiert – genau an der Stelle, wo sich durch den Bernstein ein kleiner Riss zieht.

Bernstein schützte nicht vor Umwelteinflüssen

Wie es um das Knochengewebe bestellt ist, zeigte sich bei der Analyse eines Dünnschliffs mit Raman-Spektroskopie. Das Mineral Hydroxyapatit in den Knochen hatte sich durch Eindringen von Fluor in Fluorapatit umgewandelt.

Barthel: „Das ist erstaunlich, weil wir angenommen haben, dass der umgebende Bernstein das Fossil weitgehend vor Umwelteinflüssen schützt.“ Allerdings könnte der kleine Riss der chemischen Umwandlung Vorschub geleistet haben, indem sich dadurch mineralhaltige Lösungen ihren Weg gebahnt haben.

Darüber hinaus zeigt die Raman-Spektroskopie, dass Kollagen als der elastische Bestandteil in den Knochen weitgehend abgebaut wurde. Die ursprüngliche Gewebestruktur war trotz des augenscheinlich sehr guten Erhaltungszustands kaum mehr vorhanden.

„Wir müssen damit rechnen, dass zumindest im Bernstein aus der Dominikanischen Republik keine Makromoleküle mehr nachweisbar sind“, sagt der Betreuer der Arbeit, Prof. Dr. Jes Rust vom Institut für Geowissenschaften.

Komplexere Moleküle wie Proteine waren in dem fossilen Material nicht mehr feststellbar, endgültige Analysen stehen aber noch aus. Die Abbauprozesse sind damit in diesem Bernsteinvorkommen sehr weit fortgeschritten, und von der ursprünglichen Substanz ist kaum mehr etwas übrig.

Säuren im Baumharz greifen Knochen an

Normalerweise gilt Bernstein als ideales Konservierungsmittel: Die Überlieferung der Insektenwelt vor Jahrmillionen ist vor allem dem Baumharz zu verdanken. Doch bei dem Knochengewebe der Eidechse könnte das Harz sogar noch die Abbauvorgänge beschleunigt haben: Säuren in dem Baumsekret haben wahrscheinlich den Apatit im Knochen angegriffen – ähnlich wie bei Karies der Zähne.

Publikation

H. Jonas Barthel, Denis Fougerouse, Thorsten Geisler, Jes Rust: Fluoridation of a lizard bone embedded in Dominican amber suggests open-system behavior, PLOS ONE, DOI: 10.1371/journal.pone.0228843


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