Weltweit erster fossiler Beleg für lebendgebärende Schlangen

(14.11.2022) Ein argentinisch-deutsches Wissenschaftler*innen-Team, unter ihnen Senckenberger Krister Smith, hat den weltweit ersten fossilen Beleg für eine Lebendgeburt bei Schlangen erbracht.

Das untersuchte Fossil stammt aus dem hessischen UNESCO-Welterbe Grube Messel. In der im Fachjournal „The Science of Nature“ erschienenen Studie beschreiben die Forschenden Knochen von Schlangenembryonen, die im Körper des Muttertiers entdeckt wurden.

Der Fund zeigt, dass es schon vor mindestens 47 Millionen Jahren lebendgebärende Schlangen gab.

Die meisten heute lebenden Reptilien legen Eier, die sogenannte Oviparie ist ihre gängigste Fortpflanzungsweise.


Die Messelboa Messelophis variatus ist der weltweit erste fossile Beleg für lebendgebärdende Schlangen.

Doch es gibt auch Ausnahmen: Zahlreiche Eidechsen- und Schlangen-Arten sind dafür bekannt von der Norm abzuweichen und ihren Nachwuchs lebend – vivipar – auf die Welt zu bringen. „Die fossile Erhaltung von Fortpflanzungsereignissen ist generell sehr selten.

Insgesamt wurden bislang nur zwei Fossilbelege zu viviparen Reptilien entdeckt. Uns ist es nun gelungen das weltweit erste Fossil einer lebendgebärdenden Schlange zu beschreiben!“, berichtet PD Dr. Krister Smith vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

Das Fossil Messelophis variatus aus einer Familie der Boa-Artigen ist etwa 50 Zentimeter lang, stammt aus der Zeit des Eozäns und ist mit heutigen Zwergboas Mittelamerikas verwandt. „Die Art gehört zu den häufigsten Schlangen, die wir aus Messel kennen. Dennoch hat uns dieses etwa 47 Millionen Jahre alte Exemplar überrascht: Es handelt sich um ein trächtiges Weibchen mit mindestens zwei Embryonen, die sich im hinteren Drittel ihrer Rumpfregion finden“, erklärt Dr. Mariana Chuliver, Erstautorin der Studie von der Fundación de Historia Natural in Buenos Aires.


Im hinteren Abschnitt der weiblichen Schlange sind Knochen von mindestens zwei Embryonen zu erkennen.

Ihre Kollegin und Mitautorin Dr. Agustín Scanferla ergänzt: „Bei unserer Untersuchung haben wir festgestellt, dass einige der Schädelknochen im Fossil von kleinen, nicht mehr als 20 Zentimeter langen Boas stammen.

Diese Knochen liegen ein gutes Stück hinter dem Magen – würde es sich dabei um Beutetiere der Schlange handeln, wären diese so weit hinten im Darm bereits zersetzt und nicht mehr zu erkennen.

Es muss sich also um Embryonen der Boa handeln. Die Tatsache, dass die Knochen von sehr jungen – aber dennoch weiter als in einem ungelegten Ei entwickelten – Schlangen stammen, unterstreicht, dass es sich um ein trächtiges, lebendgebärendes Weibchen handelt.“

Bei der Lebendgeburt bleiben die Jungen im Körper des Weibchens bis sie lebensfähig sind – das macht eine schützende Eischale überflüssig. Dies wird als eine gute evolutionäre Strategie für Reptilien in kalten Klimazonen angesehen, da die Temperatur im Körper des Weibchens stabiler und damit sicherer für deren Nachwuchs ist.

So haben sich viele heutige lebendgebärende Eidechsen und Schlangen in eher kühleren Gebieten entwickelt. „Zur Zeit des eozänen Messelsees herrschte auf der Erde aber ein anhaltendes Treibhausklima mit warmen Temperaturen, einem hohen Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre und eisfreien Polen.

Rund um Messel lagen die Durchschnittstemperaturen damals bei etwa 20 Grad Celsius, die Wintertemperaturen fielen nicht unter den Gefrierpunkt. Warum die Boas vor 47 Millionen Jahren dennoch ihren Nachwuchs lebend zur Welt brachten, ist noch ungeklärt. Vielleicht werden uns weitere Fossilien aus dieser einzigartigen Fundstelle helfen, dieses Rätsel zu lösen!“, fasst Smith zusammen.

Publikation

Chuliver, M., Scanferla, A. & Smith, K.T. Live birth in a 47-million-year-old snake. Sci Nat 109, 56 (2022)


Weitere Meldungen

Durch gut erhaltene Knorpelringe ist die Luftröhre des Reptils sehr gut erkennbar.; Bildquelle: Senckenberg/Behr

Messelfund: Schlangenfossil mit Luftröhrenerhaltung

Das Senckenberg-Grabungsteam hat innerhalb von vier Wochen im Juni und Juli über 800 Funde aus den 47 Millionen Jahre alten Ölschiefern der Grube Messel geborgen
Weiterlesen

Eunectes beniensis, die vierte Anakonda Art; Bildquelle: Lutz Dirksen

Verifiziert nach zwei Jahrzehnten: die vierte Anakonda-Art

Anhand alter noch vorhandener, aber bislang nicht ausgewerteter DNA-Proben gelang es den Artstatus der bis über vier Meter lang werdenden Riesenschlange Eunectes beniensis molekulargenetisch abzusichern
Weiterlesen

Die neu beschriebene Krötenkopf-Lanzenotter Bothrocophias tulitoi sp. nov.; Bildquelle: Juan Pablo Hurtado-Gómez

Neue Giftschlangen in Kolumbien entdeckt

Senckenberg-Wissenschaftler Juan Pablo Hurtado-Gómez hat gemeinsam mit einem südamerikanischen Team zwei neue Arten aus der Gattung der Krötenkopf-Lanzenottern beschrieben
Weiterlesen

Die Italienische Barrenringelnatter (Natrix helvetica sicula) ist in Deutschland auf den äußersten Süden von Bayern beschränkt, wo sie eine wenige Kilometer breite Hybridzone mit der Ringelnatter (Natrix natrix) bildet.; Bildquelle: Michael Franzen

Italienische Barrenringelnatter in Bayern: Schlange überquert die Alpen

Ein Forschungsteam von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und der Zoologischen Staatssammlung München hat das Auftreten der Italienischen Barrenringelnatter in Bayern untersucht
Weiterlesen

Universität Hamburg

Neu entdeckte Schlangenart „Madatyphlops eudelini“ beschrieben

Ein internationales Team unter Leitung des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg hat nun erstmals die neue Schlangenart „Madatyphlops eudelini“ beschrieben
Weiterlesen

Exemplar der Schlangenart Myanophis thanlyiensis.; Bildquelle: Gunther Köhler

Neue Schlangenart in Myanmar entdeckt

Senckenberg-Wissenschaftler Prof. Dr. Gunther Köhler hat zusammen mit einem internationalen Team der Universität East Yangon in Myanmar eine neue Wasserschlangenart entdeckt und erstmals beschrieben
Weiterlesen

Die neu beschriebene Pythonart Messelopython freyi ist der älteste bekannte fossile Nachweis eines Pythons weltweit.; Bildquelle: Senckenberg

Weltweit ältester Python gefunden

Senckenberg-Wissenschaftler Krister Smith hat gemeinsam mit seinem Kollegen Hussam Zaher von der Universität in São Paulo die weltweit ältesten bekannten Fossilien einer Pythonart beschrieben
Weiterlesen

Cylindrophis slowinskii; Bildquelle: Justin Bernstein

Neue Schlangenart aus Myanmar im Museum entdeckt

Bisher unbekannte, ungiftige Schlangenart aus Myanmar nach dem Reptilienkundler Joe Slowinski benannt
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen