Nanoteilchen als Lebensmittelzusatz: das Risiko besser einschätzen

(15.08.2017) Das Antiklumpmittel Siliciumdioxid E551 wird seit 50 Jahren breit in der Nahrungsmittelindustrie verwendet und galt bisher als unbedenklich.

Doch nun haben Wissenschaftler des Nationalen Forschungsprogramms "Chancen und Risiken von Nanomaterialien" entdeckt, dass diese Nanoteilchen das Immunsystem des Darms beeinflussen können.

Antiklumpmittel sorgen dafür, dass Trockennahrungsmittel wie etwa Fertigsuppen, Instant-Kaffee oder Würzpulver rieselfähig bleiben.

Vetsuisse

Das aus Quarzsand gewonnene ultrafeine Pulver mit dem Namen "synthetisches amorphes Siliciumdioxid" und der Zulassungsnummer E551 wird seit einem halben Jahrhundert verwendet – und gilt als unbedenklich.

"Bisher ging man davon aus, dass diese nanostrukturierten Partikel völlig inert sind", sagt Hanspeter Nägeli vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich.

Der Abwehrmechanismus wird geweckt

Doch nun haben er und seine Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Chancen und Risiken von Nanomaterialien" (NFP 64) herausgefunden, dass diese Partikel in der Lage sind, bestimmte Immunzellen zu aktivieren.

"Wir haben gezeigt, dass ruhende dendritische Zellen im Kontakt mit Nanosilica stimuliert werden und eine entzündungsähnliche Reaktion in Gang setzen", sagt Nägeli.

Ihre Ergebnisse (*) lassen aufhorchen, denn im Immunsystem des Darms spielen die dendritischen Zellen eine entscheidende Rolle: Sie erhalten das dynamische Gleichgewicht aufrecht zwischen Abwehrreaktionen und Tolerierung.

Die dendritischen Zellen sind massgeblich beteiligt am Kampf des Immunsystems gegen Erreger und Fremdkörper. Sie koordinieren aber auch die wohlwollende Antwort gegenüber Nahrungsbestandteilen oder Vertretern der normalen Darmflora.

Wie die Forschenden in Versuchen mit Mäusezellkulturen gezeigt haben, nehmen die dendritischen Zellen die Nanosilica in ihr Zellinneres auf. Das weckt sie aus ihrem Schlaf. Sie beginnen, ein bestimmtes entzündungsaktives Signalmolekül auszuscheiden.

Ob solche Prozesse vielleicht auch das immunologische Gleichgewicht des menschlichen Darms in Richtung vermehrter Abwehr verschieben, wissen die Forschenden nicht.

Doch ihre Ergebnisse könnten die Beobachtung erklären, dass sich entzündliche Darmkrankheiten ausbreiten, wenn mehr Menschen Fertigprodukte zu sich nehmen.

"Es geht nicht darum, Angst zu schüren. Entzündliche Darmkrankheiten hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab", sagt Nägeli. Und Nanosilica in der Nahrung machen höchstens einen kleinen Puzzlestein im Gesamtbild dieser komplexen Erkrankungen aus.

Trotzdem rät Nägeli aufgrund seiner Resultate zu grösserer Vorsicht im Umgang mit diesen Partikeln in der Nahrung. "Ihr massiver Gebrauch muss überdacht werden", schreiben die Forschenden in ihrem Fachbeitrag.

Die Risikoevaluation verbessern

In einer weiteren Publikation (**) übt Nägeli Kritik an der aktuellen Sicherheitsbeurteilung von Nanosilica. "In den toxikologischen Analysen werden keine immunologischen Kriterien erhoben." Zudem seien in den Fütterungsversuchen mit Ratten auf der höchsten Dosis Leberschäden beobachtet – aber in der Risikoevaluation nicht berücksichtigt – worden.

Ein Zusammenhang mit Nanosilica sei zwar nicht erwiesen, könne aber beim derzeitigen Wissensstand auch nicht ausgeschlossen werden.

"Wir plädieren hier deshalb für die Anwendung des Vorsorgeprinzips und für die Überprüfung des Grenzwerts in der Nahrung", sagt Nägeli.

Die Forschung wurde an der Universität Zürich und in Zusammenarbeit mit der EMPA, der ETH Zurich und Bavarian Nordic geführt.


(*) H.C. Winkler et al.: MyD88-dependent pro-interleukin-1ß induction in dendritic cells exposed to food-grade synthetic amorphous silica. Particle and Fibre Toxicology (2017). doi: 10.1186/s12989-017-0202-8 https://particleandfibretoxicology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12989-017...

(**) H.C. Winkler, M. Suter and H. Naegeli: Critical review of the safety assessment of nano-structured silica additives in food. Journal of Nanobiotechnology (2016),
doi: 10.1186/s12951-016-0189-6
https://dx.doi.org/10.1186%2Fs12951-016-0189-6


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