Kaulquappen und schlechte Sicht – ein spannendes Modell der Evolution

(22.03.2022) In einem soeben in „Frontiers in Ecology and Evolution“ erschienenen Artikel untersucht ein von der Vetmeduni geleitetes internationales Team von Forscherinnen, wie Kaulquappen auf die eingeschränkte Sicht in ihrem Habitat reagieren.

Demnach bieten Amphibien hervorragende Möglichkeiten, Anpassungen an visuell eingeschränkte Umgebungen besser zu verstehen und neue experimentelle Überlegungen und Interpretationen für zukünftige Forschungen zu liefern.

Kaulquappen einiger tropischer Froscharten bewohnen relativ flache Süßwasserumgebungen.

Innerhalb der Grenzen dieser Kleinstgewässer gibt es eine beträchtliche Strukturvielfalt der Lebensräume.


Kaulquappe

Diese Lebensraumstruktur wird normalerweise für Aspekte der Fortbewegung und Nahrungsaufnahme berücksichtigt und spielt eine grundlegende Rolle bei der Einteilung von Kaulquappen in ökomorphologische Gruppen.

Der Einfluss der Strukturvielfalt auf die Gestaltung der Sinneswelten einzelner Arten wurde bisher jedoch selten untersucht, einschließlich der optischen Qualität der unterschiedlichen Arten von Gewässern und den damit einhergehenden Herausforderungen und Einschränkungen.

Forschungsbereich mit vielen unbeantworteten Fragen

In einem Artikel untersuchte nun ein internationales Wissenschafterinnenteam um Bibiana Rojas vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni den aktuellen Forschungsstand betreffend Kaulquappen und ihrer Reaktion auf Umgebungen mit eingeschränkter Sicht. Laut den Wissenschafterinnen gibt es derzeit wenig evidenzbasiertes Wissen in diesem Bereich, insbesondere was die Rolle von trüben und lichtarmen Umgebungen bei der Gestaltung des visuellen Systems der Amphibienlarven und deren mögliche verhaltens- und phänotypischen Reaktionen auf solche Umgebungen betrifft.

Wasser – ein ganz besonderer Lebensraum

Als Medium stellt Wasser im Vergleich zu Luft einzigartige Herausforderungen und Möglichkeiten dar, was zu ausgeprägten physiologischen Anpassungen führt – auch bei vorübergehend im Wasser lebenden Tieren wie Kaulquappen. Beispielsweise wird die Nahkommunikation durch chemische Signale im Wasser erleichtert, während die Kommunikation durch Schall in Flachwasserumgebungen beeinträchtigt wird. D

ie visuelle Welt unter Wasser wird durch die Art und Weise, wie Licht gebrochen und gedämpft wird, und durch die optischen Eigenschaften von Wasser – beispielsweise die starke Absorption von blauem Licht – sowie durch die Trübung des Wassers aufgrund von Umwelteinflüssen geprägt.

Einzigartiges Modell für phänotypische Plastizität

Rojas betont, dass vor allem die phänotypische Plastizität – die Interaktion von Umwelteinflüssen und Genetik – ein Forschungsbereich von großem Interesse ist: „Kaulquappen stellen ein einzigartiges Modell dar, um die Entwicklung des visuellen Systems von Wirbeltieren beim Übergang von Wasser- zu Luftumgebungen und die Auswirkungen der Ontogenese, also der individuellen Entwicklung der Tiere, auf die Aufrechterhaltung bzw. Änderung der Augenanpassung zu verstehen.

Damit bieten der visuelle Aspekt von Ökosystemen und die sich aus Umweltveränderungen ergebenden Verhaltensanpassungen, einen spannenden und relativ unerforschten Rahmen von Fragen, die es zu erforschen und zu beantworten gilt.“

Besseres Verständnis evolutionärer Entwicklungen

Beispielsweise wäre die Untersuchung, wie sich Farben angesichts erhöhter Trübung ändern, eine Gelegenheit, die Plastizität farbbasierter Signale zu verstehen und wie diese in optisch herausfordernden Szenarien gebildet werden. Insgesamt bieten Kaulquappen, laut Rojas, eine aufregende Möglichkeit, Anpassungen an visuell begrenzte Umgebungen zu untersuchen.

„Die vergleichende Untersuchung dieser evolutionären Anpassungsreaktionen über biologische Abstammungsgemeinschaften (Kladen), Lebensräume und Geographien hinweg, wird Evolutionsökolog:innen sicherlich für die kommenden Jahre herausfordern“, so Chloe Fouilloux, Erstautorin des Artikels und PhD-Studentin in Roja´s Gruppe.

Publikation

Der Artikel „Tadpole Responses to Environments With Limited Visibility: What We (Don’t) Know and Perspectives for a Sharper Future“ von Chloe A. Fouilloux, Carola A. M. Yovanovich und Bibiana Rojas wurde in „Frontiers in Ecology and Evolution“ veröffentlicht.



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