Antibiotika-Alternative: Forscher fordern klare Regeln für Einsatz von Bakteriophagen

(09.10.2017) 1. Deutsches Bakteriophagen-Symposium an der Uni Hohenheim sieht hohes Potential für Einsatz der Bakterienkiller in Medizin, Tiermedizin, Lebensmittelhygiene

Multiresistente Keime, Lebensmittelskandale, Tierseuchen: Eine Lösung für diese und andere Probleme könnten Bakteriophagen darstellen. Dabei handelt es sich um Viren, die sich in Bakterien einnisten und diese abtöten.

Universität Hohenheim Für Zellen des Menschen, von Tieren oder Pflanzen sind sie dagegen völlig harmlos In vielen osteuropäischen Ländern sind sie seit Jahrzehnten im Alltag in Gebrauch, in Deutschland erschweren fehlende Regelungen medizinische und hygienische Anwendungen.

Zum Auftakt des 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposiums an der Universität Hohenheim in Stuttgart fordern Wissenschaftler mehr Forschung und eine schnelle und klare Regulierung, um die potentielle Anwendung zu beschleunigen. Das Symposium läuft noch bis 11. Oktober, Tagungsort ist das Steinbeis-Haus für Management und Technologie (SHMT), Filderhauptstraße 142 70599 Stuttgart.

Mehr Infos zum Symposium unter https://1st-german-phage-symposium.uni-hohenheim.de

„Vom Schnupfen über Durchfall bis zur Lungenentzündung: Bereits jetzt lassen sich bakterielle Infekte bei Mensch und Tier mithilfe von dafür geprüften Bakteriophagen bekämpfen“, erklärt PD Dr. Wolfgang Beyer.

Ein Ansatz, der auch in Deutschland und Westeuropa endlich Anwendung finden muss, so die Überzeugung von PD Dr. Beyer, Scientific Director des 1. Deutschen Bakteriophagen-Symposiums.

Noch bis 11. Oktober 2017 treffen sich über 150 internationale Vertreter der Bakteriophagen-Forscher mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Regulierungsbehörden.

Das erste deutsche Bakteriophagen-Symposium an der Universität Hohenheim in Stuttgart soll den internationalen Forschungsstand zusammenfassen und künftigen Forschungs- und Regelungsbedarf ausleuchten.

Organisiert wird das Symposium durch das Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften der Universität Hohenheim. Zu den Höhepunkten des Symposiums gehört die deutschsprachige Abschluss-Diskussion "Quo vadis, deutsche Bakteriophagenforschung?" am 3. Konferenztag, den 11. Oktober 2017 ab 10:30 Uhr.

Auf der Agenda steht außerdem die Gründung eines nationalen Phagen-Forums. Die allgemeine Konferenzsprache dagegen ist Englisch.

Spezielle Viren als Verbündete in der Krankheitsbekämpfung

Das Prinzip der Bakteriophagen sei simpel, erklärt PD Dr. Beyer: Die Viren dringen in die Bakterien ein und töten diese ab. „Für jedes krank machende Bakterium gibt es einen passenden Phagen, der es zerstört. Man muss nur den richtigen finden. Dann lassen sich viele Infektionen bekämpfen – ganz ohne oder auch in Kombination mit Antibiotika.“

Gegen viele Infekte könne dabei schon ein standardisierter Phagen-Mix helfen. In schwierigeren Fällen könne ein Mikrobiologe den Erreger beim Patienten genau bestimmen und dann den dazu passenden Phagen suchen – eine ganz auf den individuellen Patienten zugeschnittene Behandlung.

Aus Reisen in Osteuropa wisse PD Dr. Beyer, dass es dort Phagen-Mischungen rezeptfrei in Apotheken zu kaufen gibt. In Deutschland hingegen nicht: „Es ist zwar nicht verboten, Phagen in Deutschland zu vertreiben.

Um sie als zugelassenes Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sind allerdings teure und langwierige Tests nötig. Dieses Zulassungsverfahren gilt es zu beschleunigen, denn die tradierten Antibiotika versagen zunehmend im Kampf gegen multiresistente Keime. Wir brauchen die Bakteriophagen als Alternative, und zwar jetzt.“

Im Kalten Krieg vergessen, von der Forschung aus dem Blick verloren

Dass Bakteriophagen von der medizinischen Forschung in Deutschland und der westlichen Welt so lange nicht beachtet wurden, habe historische Gründe, so PD Dr. Beyer. Entdeckt wurden sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts; am berühmten Pariser Institut Pasteur forschte man dazu in den 1930er-Jahren ebenso wie im georgischen Tiflis.

Doch mit der Spaltung Europas in Ost und West und dem Siegeszug des Penizillin gerieten Bakteriophagen in den westlichen Ländern nach 1945 zunehmend in Vergessenheit. „Dank des erfolgreichen Einsatzes der Antibiotika hatte man im Westen schlicht keinen Bedarf an Bakteriophagen“, so PD Dr. Beyer. „Heute, im Kampf gegen multiresistente Keime, sieht das anders aus.“

In den Sowjetstaaten blieben die Bakteriophagen jedoch im Einsatz und sind es bis heute, sicherlich auch, weil in diesen Ländern Antibiotika deutlich teurer oder gar nicht zu bekommen waren.

„Bakteriophagen erfüllen jedoch die gleiche Funktion und werden dort bis heute als wirksames, aber noch unzureichend erforschtes Medikament eingesetzt“, erklärt PD Dr. Beyer.

Dass Bakteriophagen in der EU nicht generell zur medizinischen Behandlung zugelassen sind, erschwere auch die Forschung: „Medizinische Studien sind schwierig durchzuführen, da Ärzte die Bakteriophagen als alternative Methode nur dann verabreichen dürfen, wenn alle anerkannten Therapien nachweislich versagt haben. Dann ist es für die Patienten jedoch oft schon zu spät.“

Klare Regulierung würde vielfältigen Einsatz ermöglichen

Auch in der Lebensmittelhygiene könnten Phagen zum Einsatz kommen, zum Beispiel um die Übertragung von Salmonellen durch Geflügelfleisch zu verhindern: „Als Schutz gegen die Bakterien kann man Lebensmittel mit einer Phagenmischung besprühen oder auch die Hähnchen kurz vor der Schlachtung mit Phagen behandeln. Auf das Produkt und den Verbraucher hat das keine Auswirkungen.“ Doch auch hier fehle es an entsprechenden Regularien, so PD Dr. Beyer.

In anderen Ländern gibt es entsprechende Lösungen bereits im Einsatz: In den USA werden Fleisch und Fisch damit behandelt. In Deutschland ist noch kein solches Mittel zugelassen. Das könnte sich bald ändern: So stehe z. B. eine niederländische Firma aktuell mit deutschen Behörden im Kontakt für die Zulassung einer Phagenmischung zur Lebensmittel-Behandlung.

Ein weiteres Einsatzgebiet wäre die Stall- und Umwelthygiene, zu der PD Dr. Beyer forscht: „Ist in einem landwirtschaftlichen Betrieb einmal eine Tierseuche ausgebrochen, müssen Stall und Abfallstoffe gründlich desinfiziert werden. Auch hierbei könnten Phagen sehr effektiv eingesetzt werden“, so der Wissenschaftler vom Fachgebiet für Infektions- und Umwelthygiene bei Nutztieren.

Risiken sind heute schon vermeidbar

Ein Argument, das gerne gegen Bakteriophagen ins Feld geführt wird, ist die Gefahr des unerwünschten Gentransfers: Bestimmte Phagen können sich in die DNA von Bakterien integrieren.

Die Befürchtung: Wenn sie sich wieder daraus lösen und weitervermehren, kann es passieren, dass sie ein Stück DNA des Bakteriums mitnehmen und auf andere Bakterien verbreiten. Vermutlich entstand auf diese Weise das Darmbakterium EHEC.

PD Dr. Beyer warnt jedoch davor, Phagen deshalb pauschal zu meiden: „Die Gefahr des Gentransfers ist ein weitgehend vermeidbares Risiko. Zu einem Austausch von DNA zwischen Bakterium und Phagen kommt es vor allem bei sogenannten lysogenen Phagen, also Phagensorten, die in die DNA ihres Wirts eindringen. Solche Phagen kann man heute erkennen und von der Verwendung ausschließen.“

Symposium soll deutsche Bakteriophagenforschung stärken

Eine andere Befürchtung sei dagegen viel realer, wie PD Dr. Beyer meint: Dass die Bakteriophagenforschung in Deutschland bei diesem hochaktuellen Thema noch weiter ins Hintertreffen gerate.

Dabei gäbe es eine Vielzahl von Forschern, die sich inzwischen damit beschäftigen. „Das haben wir bei den Vorbereitungen für das Symposium gemerkt: Ursprünglich planten wir einen eintägigen Workshop. Doch die Resonanz war so groß, dass wir nun über 150 Wissenschaftler zur Eröffnung des Symposiums begrüßen durften.“

Die Bandbreite der Forschungsansätze reiche dabei von der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung – und Forscher ebenso wie Vertreter von Bundesinstitutionen und Unternehmen hätten großes Interesse daran, sich zu vernetzen.

Neben namhaften Experten auf dem Gebiet wie Bakteriophagen-Expertin Dr. Christine Rohde vom DSMZ sind auch Vertreter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für Risikobewertung beim Symposium vertreten.



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